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Sonstiges

Biodiversität und Artenschutz auf der Schwäbischen Alb

Nahaufnahme Kästenreinigung (Foto: Hudelmaier)

Zimmerservice für seltene Gestüts-Flattertiere 
Fledermaus- und Vogelschutz im Haupt- und Landgestüt Marbach

Seit acht Jahren gibt es die Fledermaus- und Vogelnistkästen des Projekts „Tiere der Nacht“ im Haupt- und Landgestüt Marbach. Peter Friedrich, Hauptsattelmeister im Gestüt Marbach, kümmert sich um die 249 Fledermaus- und Vogelkästen. Er kontrolliert und reinigt viele von ihnen jährlich in einer Art „Zimmerservice“ und findet so manche Überraschung. In 2022 erweitert das Gestüt sein touristisches Angebot um Führungen rund um das Thema Biodiversität. 

 

„Fledermauskasten Nummer 115 – viel Moos, ein angefangenes Vogelnest, wahrscheinlich Blaumeise, blaue Feder gefunden, etwas Fledermauskot; nun der Fledermauskasten Nummer 63 mit abnehmbaren Holzeinsatz: wenig Moos, Ahornsameneintrag, viel Vogelkot, wenig Fledermauskot, braune Puppe. Das kürze ich ab mit #63 v. Moos, Ahorns., vVK, wFMK, br. Puppe“, beschreibt Peter Friedrich, von Berufswegen in der Verwaltung für die Pensionspferde im Haupt- und Landgestüt Marbach tätig, die wichtigsten Merkmale der von ihm gerade gereinigten und inspizierten Inhalte von zwei Fledermauskästen. Das waren jedoch nur zwei von insgesamt 25 Kästen, die an den Bäumen der wunderschönen alten Baumallee zwischen dem Gestütshof St. Johann und dem Vorwerk Fohlenhof angebracht sind. 

Peter Friedrich gibt ein Handzeichen an den Fahrer des großen Traktors, Christoph Heideker, aus dem Bereich Landwirtschaft, der behutsam und zentimetergenau den Arbeitskorb mit Peter Friedrich hinaufhebt, direkt an den nächsten Fledermausrundkasten. „Früher bin ich mit einer Leiter von Baum zu Baum gelaufen und hochgeklettert, aber das war so anstrengend, dass ich abends fix und alle war – und gefährlich war es obendrein“, erinnert sich Peter Friedrich an die Anfangsjahre der Kästenreinigung.“ Beim Reinigen geht Friedrich sehr vorsichtig vor – nicht ausgeschlossen, dass doch mal ein Siebenschläfer oder ein anderes Tier sich darin befindet. Die durch die Säuberungsaktion aufgeweckte „Flachstreckerspinne“, wie Friedrich sie fachkundig benennen kann, wird wieder vorsichtig in den Kasten zurückgesetzt. Ebenso die Puppe eines Falters, die beim Reinigen versehentlich aus dem Kasten auf den Boden gefallen ist. Peter Friedrich lässt den Arbeitskorb herunterfahren und sucht solange am Boden, bis er sie wiederfindet, wie eine Nadel im Heuhaufen! Ein Erfolg, denn die Puppe wird von ihm gefunden und wieder in den Kasten gelegt. Trotz dieser Geduld und Fürsorge für jedes Tierchen arbeitet Peter Friedrich zügig und fast wie im Akkord – auch um seinen Kollegen Christoph Heideker im Traktor möglichst nicht zu lange von seiner Arbeit auf dem Gestütshof abzuhalten.

Das akribische Notieren des vorgefundenen Inhalts ist längst nicht alles, was zu der tagesfüllenden Aufgabe für Peter Friedrich gehört: „Viele wissen nicht, dass diese Kästen jährlich gereinigt werden müssen. Ich mache das gerne – aber die Aufgabe wäre sicher nichts für jeden!“ Die Kästen, die mehrere Kilogramm wiegen und aus Holzbeton hergestellt sind, müssen abgenommen, alle geöffnet und innen mit einer Spachtel vorsichtig gereinigt werden. Bevor das Innenleben aus Moos, Laub, Samen, Federn, manchmal auch zentimeterhohem Vogelkot, Schimmel oder einem toten Jungvogel jedoch nach unten fallengelassen wird, untersucht es Peter Friedrich genau, um die Nutzer des Kastens herauszufinden. „Hier ist zwar viel Moos drin, aber das Laub da drauf stammt wohl von einer Maus, da hat kein Vogel drin genistet“, bemerkt er beim nächsten Kasten. „Hier sind kleine schwarze längliche Bollen zu sehen – das muss Fledermauskot sein, denn man kann ihn mit den Fingern zerdrücken und er zerfällt wie Sand – das kommt von dem Chitinpanzer der Insekten, die die Fledermaus gefressen hat. Mäusekot verhält sich eher wie Knetmasse und zerfällt bei dieser Probe nicht, das ist der Unterschied“, erklärt Friedrich. Der Betrachter staunt, da die „Kotböbbel“ von Maus und Fledermaus doch auf den ersten Blick identisch aussehen. Anschließend zieht er mit einer Beißzange, sehr viel Kraft und gleichzeitig viel Gefühl den speziellen Nagel aus Aluminium etwas weiter aus dem Baumstamm, denn der Baum wird breiter und würde den Nagel irgendwann „verschlucken“. Dann wird der schwere Kasten wieder aufgehängt und die seitlichen Metallklammern an der Rinde fixiert, die dem Kasten vertikalen Halt geben.

Peter Friedrich schon von Kindesbeinen an begeistert sich für die Natur und die Artenvielfalt. Und rund um das Gestüt Marbach finden sich viele besondere Ecken, in denen seltene Tiere leben, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Ob es nun die wertvollen Feldhecken sind, die Vögeln und Hasen Unterschlupf bieten, Tümpel für Kröten, Frösche oder Molche oder die riesigen alten Bäume in der Kulturlandschaft St. Johann, Offenhausen und Marbach über Jahrhunderte entstanden ist – überall leben Tiere, die davon profitieren. Ein solcher Lebensraum ist andernorts rar geworden. „Biodiversität“ (oder anders beschrieben mit dem Begriff Artenreichtum) ist das moderne Schlagwort, das ein Resultat vorsichtiger und behutsamer Landwirtschaft ist, wozu im Gestüt Erfahrung und Verständnis vorhanden ist. 

Um diesen Artenreichtum zu fördern und besonders auch Besuchern zu zeigen und zu vermitteln, wurde das Projekt „Tiere der Nacht“ der Allianz-Umweltstiftung vor acht Jahren initiiert. Das Haupt- und Landgestüt Marbach hatte sich beworben und insgesamt 249 Fledermaus- und Vogelkästen sowie Fledermausbretter (in die die Fledermäuse von unten wie in einen Spalt hineinklettern können), für nachtaktive Vögel wie den Rauhfußkauz und die Schleiereule erhalten und war damit der zahlenmäßig größte Partner des von der Geschäftsstelle des Biosphärengebietes Schwäbische Alb mitbetreuten Projekts. Weitere ca. 40 Partner im Biosphärengebiet wurden damals mit solchen Kästen ausgestattet. Von Marbach erhoffte sich die Allianz-Umweltstiftung eine besondere Vorbild- und Multiplikatorenwirkung, da zu coronafreien Zeiten mehrere hunderttausend Besucher und Besucherinnen jährlich das Gestüt besuchen und Gestütsführer und Gestütsführerinnen den rund 15.000 Führungsteilnehmern den Nutzen dieser Kästen erläutern und zur Nachahmung am eigenen Haus motivieren können. Mit dem Experten Günter Künkele, ehemaliger Vorsitzender des Bund Naturschutz Alb-Neckar (BNAN), wurden die Kästen in den Jahren 2014 und 2015 aufwendig und gezielt an für die Tiere passende Stellen auf den drei Gestütshöfen aufgehängt. Seither obliegt die Pflege Peter Friedrich. Diese jährliche Pflege ist wichtig, damit die Kästen wieder für ein neues Nest angenommen werden und auch der Hygiene wegen... denn es finden sich dort Schimmelstaub und auch mal Parasiten wie Flöhe. Nicht nur wegen Corona trägt Peter Friedrich daher eine FFP2-Maske. „Will man die Tiere schützen muss man sich auch selbst schützen“, sagt Peter Friedrich und kratzt von der Röhre eines Fledermauskasten die mehrere Zentimeter hohen Kothäufchen, die ein Vogel dort hineingesetzt hat und der es in dem Fledermauskasten offensichtlich auch gemütlich fand. Für die Fledermäuse sind dies Tagesquartiere im späten Frühjahr und Sommer. Im Winter befinden sie sich für den Winterschlaf meist in Höhlen. Deshalb ist auch der Winter die beste Zeit, um die Kästen zu reinigen. An diesem Tag hat es Dauerfrost, Schnee und blauen Himmel – ideal, weil es trocken ist, aber auch kalt für diese Tätigkeit!

Alle 24 Fledermausarten in Deutschland sind durch die Berner Konvention, das Abkommen zur Erhaltung der Fledermäuse in Europa, die Flora-Fauna-Habitatrichtlinien und das Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Umso schöner, dass in Marbach gleich mehrere unterschiedliche Arten leben. Das hat unlängst eine Untersuchung auf den Biodiversitäts-Exploratoren-Flächen, die sich auch im Gestüt Marbach befinden, gezeigt. Dr. Kirsten Reichel-Jung von der Universität Ulm konnte dort die Zwergfledermaus und vier weitere Fledermausarten nachweisen. Gestütsführerinnen und Gestütsführer, die die Besucher des Gestüts am Vorbeigehen an den Kästen über die besonderen „Tiere der Nacht“ unterrichten sollen, konnten bei ihrer letztjährigen Fortbildung mit der Fledermausexpertin und Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg, Ingrid Kaipf, in einigen aufgehängten Fledermausbrettern auch Fledermäuse entdecken. Es dauert zwar manchmal Jahre, so Ingrid Kaipf, bis Fledermäuse so ein für sie gedachtes Brett annehmen, aber der Nutzen lohnt den Aufwand und die Geduld.

Die großen Vogelnistkästen, die teilweise Maße von 90 x 60 x 50cm haben, sind innen in Scheunen und Dachstühle eingebaut und von außen nur durch ein Einflugloch sichtbar. Die Schleiereule, für die der Kasten eigentlich gedacht ist, wurde noch nicht gesichtet, dafür nutzen sie aber v.a. Turmfalken zur Brut. Auch eine Rostgans hat schon darin gebrütet. Zusätzlich hat das Haupt- und Landgestüt Marbach auf eigene Kosten noch 45 Nistkästen für Singvögel angeschafft, die vor allem den Sperlingen und Meisen gefallen. Auch Kleiber werden immer wieder gesichtet.

Biodiversitätsführungen im Gestüt

Im Zuge der Umstellung auf einen Biobetrieb in der Landwirtschaft möchte das Gestüt auch die Themen Artenschutz und Biodiversität noch mehr in den Mittelpunkt rücken. 2021 wurde eine gut besuchte öffentlichen Führung zum Thema „Biodiversität im Gestüt Marbach“ in Kooperation mit der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb angeboten. Thomas Engelhart führte die Gruppe in einem Rundgang durch die Marbacher Flächen im Eichelesgarten und erläuterte die Besonderheiten in der Landwirtschaft zum Artenschutz, die vom Gestüt betrieben werden. 2022 soll es weitere besondere Führungen zu diesem Thema geben und auch eine neue Führung zum Thema „Alte Bäume und Alleen“ (siehe Infokasten unten).

 

„500 Jahre ist eine lange Tradition für die Pferdezucht hier in Marbach – aber auch 500 Jahre Tradition in der Landwirtschaft! Beides hat seine Berechtigung, die Pferde und das Land – und damit auch die vielen anderen Tiere, die hier leben dürfen“, resümiert Peter Friedrich, bevor er das Zeichen gibt, damit Christoph Heideker die Frontladergabel mit dem Arbeitskorb wieder zum nächsten Kasten hebt. Wenn die lange Allee fertig ist, gibt’s noch ein paar Kästen auf dem Vorwerk Fohlenhof und nach einer verdienten Mittagspause zum Aufwärmen geht’s an den zweiten Teil ins Vorwerk Schafhaus des Gestütshofs St. Johann. Auch dort warten wieder viele weitere Kästen auf ihn. Jeder Kasten ist mit anderem Inhalt gefüllt – als Überraschung, aus der Peter Friedrich den oder die Vormieter oder „tierischen Hotelgäste“ meistens treffsicher bestimmen und notieren kann. Dort wird ihn in einem Kasten eine „Kanadischen Zapfenwanze“ erwarten...



Infokasten: Neue Führungen „Artenvielfalt & Natur“ und „Bäume und Alleen“ 2022

2022 sollen wieder Führungen mit „Blick hinter die Kulissen“ angeboten werden. Es geht dann neben Ackerbau, Vögeln und Fledermäusen, auch um Themen wie die angelegten Blühwiesen für Insekten und den Biber im Wolfgangsee, der ehemaligen Pferdeschwemme unterhalb des Schlosses Grafeneck. Die Führungen 2022 (die wieder in Kooperation mit der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb stattfinden) zum Thema „Artenvielfalt und Natur“ finden am 14.05.22 und am 18.06.22 statt. Die 2022 erstmalig angebotene Führung „Alte Bäume und Alleen“ findet am 04.06.22 statt. Beginn ist jeweils 10 Uhr. Für alle drei Führungen werden bereits Anmeldungen unter Tel. (0 73 85) 96 95-037 oder info@hul.bwl.de entgegengenommen (die Teilnehmerzahl ist begrenzt). Die Führungen dauern ca. zwei bis drei Stunden und kosten 14,- pro Person, Kinder unter 6 Jahren sind frei. Infos unter www.gestuet-marbach.de

Text: Andrea Klemer

Kontakt

Haupt- und Landgestüt Marbach

Gestütshof 1
72532 Gomadingen-Marbach

(07385) 96 95-000

poststelle@hul.bwl.de

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