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500 Jahre Pferdegeschichte
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Das Haupt- und Landgestüt Marbach feierte im Jahr 2014 seinen 500. Geburtstag. Seit der ersten urkundlichen Erwähnung des Gestüts im Jahr 1514 ist vieles in Marbach und in der Welt passiert. Die Ausstellung zum Gestütsjubiläum, deren Inhalte in diesem Artikel zusammengefasst werden, greift einige Ereignisse und Zeitabschnitte dieser 500-jährigen Geschichte heraus. Dabei wird auch der Hintergrund der allgemeinen Geschichte erzählt, ohne die die Veränderungen der Pferdezucht, die wechselnden Anforderungen an Mensch und Tier und das sich wandelnde Gesicht des Gestüts durch die Jahrhunderte hindurch nicht denkbar gewesen wären. Marbach ist dabei eng verbunden mit dem Schicksal des Hauses Württemberg, dem Land Württemberg und schließlich mit dem neu gegründeten Bundesland Baden-Württemberg.
1514: Die Anfänge des Gestüts
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Die Zeit um 1500 gilt als der Beginn eines neuen Zeitalters: Gutenberg entwickelt den Buchdruck, Columbus entdeckt Amerika, Luther setzt die Reformation in Gang. Das Denken von Renaissance und Humanismus verändert das Weltbild der Menschen grundlegend. Die alte Ordnung von Adel, Klerus und Bauern wird in Frage gestellt. Auch in Württemberg entlädt sich der Unmut der einfachen Leute über ihre unerträglichen Lebensbedingungen in blutigen Aufständen. Dies geschieht zum ersten Mal im Jahr 1514 im Aufruhr, der unter dem Namen „Armer Konrad“ in die Geschichte eingegangen ist.
Der früheste uns bekannte schriftliche Beleg für eine Pferdezucht in Marbach findet sich 1514 während der Herrschaft Herzog Ulrichs (1487- 1550): In einem Verhör gibt ein des Aufruhrs verdächtigter Knecht an, zur fraglichen Zeit auf dem Weg zum „Gestüt seines Herren in Marbach an der Lauter“ gewesen zu sein.
Der Nachfolger Herzog Christoph (1515-1568) ist es, der Grafeneck zwischen 1560 und 1563 zu einem Jagdschloss ausbaut. Unter Herzog Ludwig (1554-1593) wird die Zucht durch den Ankauf von Hengsten aus Andalusien und Neapel, damals regelrechte Modepferde, neu ausgerichtet.
Niedergang im 30-jährigen Krieg (1618-1648)
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Der 1618 ausbrechende 30-jährige Krieg, der nicht nur ein Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch ein Konflikt um die Vorherrschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in Europa ist, wirkt sich auf das Herzogtum Württemberg verheerend aus. Der Krieg bringt den Menschen tausendfachen Tod, Verwüstung, Hunger und Seuchen wie z.B. die Pest. Er wirkt sich auch auf die Pferdezucht in Marbach verheerend aus. So sind Zerstörungen der Gestütsanlagen in Marbach, in Offenhausen und auch in Güterstein belegt, das 1635 von bayerischen Truppen völlig verwüstet wird. Während des Krieges werden überall Pferde als wertvolle Beute erobert, in Kämpfen getötet oder sogar infolge des Hungers geschlachtet. Die furchtbare Bilanz des Krieges wird schlaglichtartig durch die Nachricht deutlich, nach dem Krieg hätten die Felder nur von den Kühen und den Menschen selbst bestellt werden können, da Württemberg fast alle seine Pferde verloren hatte.
Wiederaufbau nach 1648
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Nach dem „Westfälischen Frieden“ von 1648 kommt der Aufbau des verwüsteten Landes nur langsam in Gang. Erst auf Initiative des Freiherrn Lewin von Kniestedt (Landoberstallmeister von 1672 bis 1710) wird ab 1685 wieder mit der systematischen Landespferdezucht begonnen. Importe von Pferden unter anderem aus Andalusien, Ostfriesland, Holstein und Dänemark zeigen das Bemühen, der Zucht eine neue und stabile Richtung zu weisen.
Carl Eugen: Pferde für den Hof (1728-1793)
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Im 18. Jahrhundert wird die französische Hofkultur des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. überall in Europa zum Vorbild. Auch Herzog Carl Eugen (1728-1793) lässt nach dem Vorbild des Schlosses von Versailles das „Neue Schloss“ in seiner Residenzstadt Stuttgart errichten. In typisch barocker Weise lädt er zu Festen an seinen Hof ein, lässt dort Theaterstücke und Opern aufführen, veranstaltet Feuerwerke und Jagden. In den Sommermonaten verweilt der Herzog gerne auf Schloss Grafeneck. Auf die gestiegenen Ansprüche des Hoflebens wird auch die Pferdezucht ausgerichtet, für die der Herzog großes Interesse zeigt. Prachtvolle Pferde werden als Zugtiere für Kutschen und als Reit- und Jagdpferde benötigt. Entsprechend fördert Carl Eugen besonders die Farbenzucht, um z.B. mit Schimmeln, Schecken oder Mohrenköpfen seinem Hof ein außergewöhnliches Ansehen zu verschaffen.
Friedrich: Pferde für den Krieg (1789-1815)
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1799 beendet Napoleon Bonaparte gewaltsam die Französische Revolution, die Europas Monarchen mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herausgefordert hat. Napoleon erklärt sich 1804 zum Kaiser der Franzosen. Er garantiert persönliche Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz und erlangt die Zustimmung der revolutionsmüden Bevölkerung auch durch den Erfolg einer weit ausgreifenden Eroberungspolitik. Herzog Friedrich wird 1805 von Napoleon in ein Bündnis mit Frankreich gezwungen, im Gegenzug wird er zum König erhoben. Diese politische Allianz fordert in den Folgejahren einen hohen Preis: Für die Feldzüge Napoleons wird Friedrich dazu verpflichtet, Soldaten und Pferde zu stellen - mit weit reichenden Konsequenzen für die Pferdezucht. Die Pferdezucht für den Einsatz in der Landwirtschaft wird in diesen Jahren mehr und mehr vernachlässigt. Die Bilanz der Bündnistreue des „Kriegskönigs“ ist furchtbar: Von den 15.000 Soldaten, die Napoleon in den Feldzug nach Russland folgen müssen, kehren nur etwa 500 zurück. Rund 40.000 Pferde gehen Württemberg verloren.
Wilhelm I: Neubeginn 1816/17
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Nach der erfolgreichen Niederringung Napoleons in den Freiheitskriegen wird Europa auf dem Wiener Kongress 1814/15 neu geordnet. Württemberg liegt nach den kriegerischen Jahren am Boden. Der neue König Wilhelm I. (1781-1864) wird im Gegensatz zu seinem autoritären und kriegerischen Vater vom Volk als „Bauernkönig“ bezeichnet, weil er sein Land durch umfangreiche Reformen wieder aufzubauen und somit die Not der Bevölkerung zu lindern versucht. Für die Pferdezucht wagt Wilhelm I. einen radikalen Neuanfang. Er trennt Hof- und Landgestüt. Das Gestüt für den königlichen Hof errichtet er in Weil mit den Fohlenhöfen Scharnhausen und Kleinhohenheim. Dort lässt der König eine Vollblutaraberzucht aufbauen, die bald weit über Württemberg hinaus berühmt wird. Marbach mit seinen Gestütshöfen wird vom König zum Landgestüt bestimmt. In Offenhausen, St. Johann und Güterstein werden Fohlenhöfe eingerichtet. Entsprechend seinem Reformprogramm zum Wiederaufbau des Landes sollen in Marbach neben Pferden für das Militär vor allem Pferde herangezüchtet werden, die für die Landwirtschaft brauchbar sind und sich dabei den besonderen klimatischen Bedingungen des Landes gewachsen zeigen.
Der lange Weg zum Erfolg (19. Jhdt.)
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Die Industrielle Revolution verändert das Leben der Menschen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert immer tiefgreifender und immer schneller. Durch die Entwicklung von Eisenbahn, Automobil und schließlich des Flugzeugs werden die Voraussetzungen für eine ganz neue Mobilität der Menschen geschaffen. Pferde bleiben zwar noch das wichtigste Fortbewegungsmittel, der revolutionäre technische und gesellschaftliche Wandel zieht aber bereits am Horizont auf. Die Pferdezucht in Württemberg wird in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den gegensätzlichen Interessen des Militärs und der Bauern zu immer neuen Experimenten gedrängt. Erst das Wirken des Landoberstallmeisters Caesar von Hofacker zwischen 1867 und 1896 bringt mit importierten Hengsten aus der Normandie und aus dem preußischen Gestüt Trakehnen einen durchschlagenden Erfolg. Er verbindet sie mit dem alten Marbacher Stutenstamm. Das so herangezüchtete Württembergische Warmblutpferd findet endlich die Anerkennung der Bauern.
Marbach übersteht zwei Weltkriege (1914-1945)
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1914 ziehen viele Menschen voller Begeisterung in den Ersten Weltkrieg. Doch die Hoffnungen auf einen schnellen Sieg werden bitter enttäuscht. Die Niederlage Deutschlands 1918 löst eine Revolution aus, in deren Verlauf die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, entsteht. Schon vierzehn Jahre später scheitert diese jedoch. Die Nationalsozialisten mit ihrem „Führer“ Adolf Hitler schaffen es, eine Diktatur zu errichten und steuern zielstrebig auf einen Eroberungskrieg zu. Die Bilanz des Zweiten Weltkriegs ist furchtbar: Über 55 Millionen Tote, der Völkermord an den europäischen Juden, Europa in Trümmern, ganz Deutschland besetzt und die Deutschen durch die Verbrechen des NS-Systems moralisch völlig diskreditiert. Auf den ersten Blick scheint in Marbach das Leben in diesen dramatischen Zeiten so weiter zu verlaufen wie bisher. Doch dieser Schein trügt: Der Friedensvertrag von Versailles 1919 erlegt Deutschland strenge Rüstungsbeschränkungen auf. Entsprechend beschränkt sich die Zucht in den Folgejahren auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft. Im Zweiten Weltkrieg bleiben Marbach und seine Gestütshöfe bis 1945 zwar weitgehend unzerstört, doch der Krieg fordert auch aus den Reihen des Gestütspersonals viele Tote. 1940 wird das in unmittelbarer Nähe Marbachs liegende, ehemalige herzogliche Schloss Grafeneck, das seit 1928 als Behindertenheim genutzt wird, von den Nationalsozialisten für die systematische Ermordung von über 10.000 Behinderten und psychisch Kranken missbraucht. Während des Krieges werden auch auf dem Gestüt Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt. Die ab 1940 entwickelten Pläne der Nationalsozialisten, ein zentrales Reichsgestüt mit der Eingliederung aller Landgestüte zu schaffen, bedrohen die Selbstständigkeit Marbachs.
Neuorientierung nach 1945
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Nach dem Ende des 2. Weltkrieges entwickelt sich bald ein neuer, ein „Kalter Krieg“. Die zwei feindlichen Blöcke, angeführt von den USA und der Sowjetunion, stehen für gegensätzliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme. Die Grenze zwischen Ost und West teilt Deutschland in zwei Staaten. In der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 erwartet man einen starken Bedarf an Pferden für die Landwirtschaft. Doch führt diese Annahme in Marbach schon am Ende der 40er Jahre zu einer Überproduktion. Denn langsam, aber stetig macht sich der zunehmende Einsatz von Maschinen in der Landwirtschaft bemerkbar. Die Anzahl von Pferden geht in den 1950er bis 1960er Jahren immer weiter zurück. Die Zucht in Marbach wird völlig neu ausgerichtet, auf ein modernes vielseitiges Pferd für Sport und Freizeit. Entsprechend erweitern sich die Aufgaben des Gestüts: Neben der eigentlichen Pferdezucht werden die Leistungsprüfungen der Pferde sowie die Ausbildung von Reitern und Pferden immer wichtiger. Im Gestütshof Marbach werden in den 1970er Jahren umfangreiche Pferdesportanlagen gebaut. Der Beruf des Pferdewirtes wird aus der Taufe gehoben und Marbach wird Ausbildungsbetrieb. Die ersten Frauen werden in den Gestütsdienst übernommen und die Gestütsanlagen werden mehr und mehr für die Besucher geöffnet.
Der Tradition verpflichtet - die Zukunft im Blick
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Die Welt wächst zusammen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1989 beginnt eine rege Zusammenarbeit mit den Landgestüten und den Zuchtverbänden im Osten Deutschlands. Der Trend zum Freizeit- und Sportpferd setzt sich fort: Die Zahl der Pferde in Deutschland steigt kontinuierlich auf über eine Million an. Für viele landwirtschaftliche Betriebe wird die Pferdehaltung ein lukrativer Betriebszweig. Die Globalisierung schreitet auch in der Pferdezucht rasant voran. Mit der Einführung der künstlichen Besamung sind Hengste weltweit verfügbar. Auf dem Gestütshof Offenhausen wird 1992 eine Besamungsstation eingerichtet. Marbach hat vor allem die Aufgabe, seltene Gene zu erhalten und den Züchtern Blutlinienvielfalt anzubieten. In der Sportpferdezucht gelingt dies insbesondere bei Vielseitigkeitspferden. Mit Hilfe der Hengsthaltung im Landgestüt Marbach kann die bedrohte Rasse Schwarzwälder Kaltblut konsolidiert und das Altwürttemberger Pferd erhalten werden. Dem Gestüt werden neue Aufgaben zugewiesen. Die Bereiche Bildung, Wissenstransfer und angewandte Forschung werden weiter verstärkt. Marbach entwickelt sich zum größten Ausbildungsbetrieb für den Beruf Pferdewirt in Deutschland. Das Gestüt wird Sitz des Kompetenzzentrums Pferd für die Beratung und Weiterbildung der Pferdehalter in Baden-Württemberg, dem maß- gebliche Institutionen und Verbände angehören. Neue Angebote und Veranstaltungen erschließen neue Zielgruppen, und das Gestüt vernetzt sich stärker in der Region und über die Landesgrenzen hinaus. Heute ist das Gestüt ein traditionsbewusstes und zugleich innovatives Unternehmen des Landes Baden-Württemberg, das einem steten Wandel der ihm gestellten Aufgaben unterliegt. Die Pferde inmitten der historischen Gestütsanlagen und der gewachsenen Kulturlandschaft bleiben die Konstante.
Rückblick auf das Jubiläumsjahr 2014
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Im Jahr 2014 feierte das Haupt- und Landgestüt Marbach sein 500-jähriges Jubiläum. Höhepunkte waren das große Festwochenende mit offiziellem Festakt und Tag der offenen Tür sowie die Konzertveranstaltung Marbach Classics Open Air.
Zum offiziellen Festakt empfing das Gestüt Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landwirtschaftsminister Alexander Bonde, die in ihren festlichen Ansprachen die Bedeutung des Gestüts herausstellten. Zum Tag der offenen Tür kamen über 20.000 Besucher auf die drei Gestütshöfe. Überall wurden Einblicke in die Arbeit des Gestüts und vielseitige Programmpunkte geboten, wie die Schauprogramme mit der Quadrille der deutschen Landgestüte in Marbach oder Kutschfahrten in St. Johann.
Die Konzertveranstaltung Marbach Classics Open Air war im Jubiläumsjahr ganz groß: An zwei Veranstaltungsabenden bot die Arena Platz für 6000 Zuschauer unter freiem Himmel. Über 80 Pferde aus zwölf Nationalgestüten und acht Ländern präsentierten zu den Klängen der Württembergischen Philharmonie Reutlingen die klassische Reit- und Fahrkultur und die Vielfalt der Pferderassen der europäischen Staatsgestüte.
Noch viele weitere Veranstaltungen im Jahr 2014 gaben Anlass, die 500-jährige Gestütsgeschichte zu beleuchten: Die Internationalen Marbacher Vielseitigkeit, die Kinderuni in der Marbacher Reithalle, das Bundesjungzüchterfestival, das Blasmusikfest, der Herbstgold-Auftakt oder das Kartoffelfest in St. Johann lockten kleine und große Besucher ins älteste staatliche Gestüt Deutschlands. Und auch außerhalb der historischen Mauern präsentierten die Marbacher Mitarbeiter mit den Gestütspferden die Tradition, die in Marbach gepflegt und erhalten wird: Bei der Messe Pferd Bodensee, beim Mannheimer Maimarkt, beim Sinsheimer Fohlenmarkt, bei der Messe Eurocheval in Offenburg, beim Bundespferdefestival in Ellwangen und schließlich, als krönender Abschluss des Jubiläumsjahres, beim Landwirtschaftlichen Hauptfest in Stuttgart.